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Beitrag vom 18.10.2007
Erika Stucky – Suicidal Yodels
Tatjana Zilg
Traditioneller Musik, die in den Alpen beheimatet ist, geht nicht unbedingt ein guter Ruf voraus. Die Pop- Experimental-Musikerin nahm sich jetzt ihrer an und verwebte das Jodeln in Klangmuster, ...
... in die sich die schmucken HeldInnen der konservativ angelegten Heimatfilme aus den 50er, 60er und 70er Jahren freiwillig wohl nie hineinbegeben hätten.
Dabei sind die Songs von "Suicidal Yodels" keineswegs nur schwere auditive Kost, sondern es finden sich angenehm dahintreibende Hooklines, klare, ergreifende Melodien und überraschende, aber durchaus für sich einnehmende Ideen in den elf Kompositionen. Diese sind zum größten Teil von Erika Stucky selbst geschrieben. Das ist bei ihr nicht immer so. Auf dem Vorgänger-Album "Princess" verkleidete sie einige große Charterfolge (u.a. Prince, Michael Jackson, Freddie Mercury) in neue Gewänder. Ganz verzichtet sie auch diesmal nicht darauf, Material einzubeziehen, das zu Meilensteinen der Musikgeschichte wurde. Von Bob Dylan entlieh sie den Intro-Song: Kontrastreich und mit großer Hingabe inszeniert sie einen Jodel-Gitarren-Beat-Clash. Mit heller, klarer Stimme intoniert sie "All I Really Want To Do" vor einer zwischen melodiös und monoton dahinwankenden Gitarren-Melodie, sparsam eingesetzten Schlagzeug-Beats und einem Jodel-Chorus.
Aber um die Ingredenzien der in der Pop- und Rockgeschichte bestens bewährten Genres mit den Gebirgs-Lautsilben-Stimmkaskaden ihrer Wahlheimat in Verbindung zu setzen, hat sie es nicht nötig, auf Coversongs zurückzugreifen. In "Do Like The Good Woman Do" kombiniert sie beispielsweise die Rauheit und Tiefgründigkeit des amerikanischen Blues mit der Melodramatik der traditionellen Musik, die sie seit Kindertagen begleitet.
Den Kulturschock, den sie den HörerInnen mit "Suicidal Yodels" bereitet, unterlag sie vor einigen Jahrzehnten selbst, als ihre Familie von San Francisco in die Schweizer Berge zog und das Mädchen sich dort in einer völlig anderen Umgebung wiederfand. Als Erwachsene flüchtete sie aus dem Land mit den lustig-skurrilen Wortlauten des Schwytzerdytsch nach Paris, um dort Jazz-Gesang und Schauspiel zu studieren. Heute lebt sie wieder in dem Alpenland und steht dort im regen Austausch mit einigen MusikerInnen und KünstlerInnen, die genau wie sie gerne mit ungewöhnlichen Projekten experimentieren.
Stefan Schwietert porträtierte 2007 die Stimm-Akrobatin neben Noldi Alder und Christian Zehnder in dem Dokumentarfilm "Heimatklänge", der bereits im Forum der Berlinale 2007 gezeigt und mit dem Leserpreis des Tagesspiegel, dem C.I.C.A.E., dem Publikumspreis des Visions Du Reel Nyon, dem Jurypreis des Unerhört Filmfestivals Hamburg und der Golden Athena beim Fimfestival Athen ausgezeichnet wurde.
AVIVA-Tipp: Ungewollt vertraute Töne wie das Jodeln werden ganz neu erlebt und aus traditionellen Begrenzungen sowie konservativen Heimatmotiven befreit.
Auch das humorvolle-satirische Augenzwinkern, ein Markenzeichen von Erika Stucky seit der Veröffentlichung der Vorgänger-Alben "Princess" (2005) "Bubbles & Bones" (2003) und "Lovebites" (2001), fehlt an keiner Stelle.
Lesen Sie auch unser Interview mit Erika Stucky (2005).
Erika Stucky
Suicidal Yodels
Label: Traumton, VÖ Oktober 2007
Die Künstlerin im Web: www.erikastucky.ch